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August 2021: Die Taliban kehren zurück

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August 2021: Die Taliban kehren zurück

Schon kurz nach ihrer Vertreibung stellten sich die Taliban neu auf – und übernahmen 2021 nach dem Abzug der NATO-Truppen innerhalb weniger Wochen erneut die Kontrolle über das Land.

Bereits seit 2005 waren Taliban-Kämpfer aus Pakistan heraus im Süden und Osten Afghanistans wieder in Erscheinung getreten. Sie verübten Anschläge gegen die afghanische Regierung, NATO-Verbündete, aber auch gegen die Zivilgesellschaft. Unterstützt durch lokale Stammesfürsten oder religiöse Führer verbuchten sie teils erhebliche Landgewinne und bereiteten so ihre erneute Machtübernahme vor.

Wie konnten sich die Taliban neu aufstellen?

Durch die US-Luftangriffe im Oktober und November 2001 hatten die Taliban zwar erhebliche Verluste erlitten. Die Führungsriege jedoch blieb weitgehend intakt. Viele Taliban zogen sich in die schwer zugänglichen Hochgebiete Afghanistans zurück, in ihre Hochburg Kandahar oder nach Pakistan, zu ihren Familien in den dortigen Flüchtlingslagern sowie in die Medresen, aus denen heraus sich die Taliban einst gegründet hatten. Unterstützt durch militante pakistanische Gruppen und auch pakistanische Behörden gingen sie in den Aufstand gegen die afghanische Regierung.

Neue Anhänger in Afghanistan gewannen sie mit unterschiedlichen Strategien: Sie wandten sich vor allem an lokale Strukturen, nutzten verwandtschaftliche Verhältnisse und sicherten sich das Wohlwollen der Dorfältesten oder Geistlichen. Sie unterstützten die wirtschaftlich schwache Landbevölkerung finanziell und appellierten an Stolz und Ehre, an Familie, Stammeszugehörigkeit und religiöse Motive. Vor allem aber gerierten sich die Taliban abseits der urbanen Zentren weiterhin als Garant für Sicherheit und Ordnung gegen eine als korrupt angesehene Regierung oder Lokalverwaltung.

Direkter Zwang oder Nötigung hingegen kamen nur in Ausnahmefällen vor. Die Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban war in Deutschland vor 2021 regelmäßig kein ausreichender Grund, Geflüchteten aus Afghanistan einen Schutzstatus zuzugestehen.


Einen weiteren Auftrieb erhielten die Taliban nach dem Teilabzug der US-Truppen im Jahr 2012. Sie eroberten viele der aufgegebenen Stellungen, samt des zugehörigen Kriegsgeräts. Auch gelang es den Taliban, internationale Beziehungen aufzubauen. 2013 eröffneten sie ein Verbindungbüro in Doha (Katar). Verhandlungen mit US-Präsident Donald Trump führten 2020 zum Abkommen von Doha mit dem Beschluss, sämtliche US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Im Gegenzug sicherten die Taliban zu, Terroranschläge aus den von ihnen kontrollierten Gebieten gegen die USA zu unterbinden.

Einnahmen bezogen die Taliban in dieser Zeit aus unterschiedlichen Quellen; Opiumhandel, Steuern und Zölle in den durch sie kontrollieren Gebieten, Spenden aus dem Ausland, Hilfsgelder, Schutzgelderpressung oder Immobilienbesitz in den großen afghanischen Städten.

Welche Fehleinschätzungen der NATO-Partner trugen zum Durchmarsch der Taliban 2021 bei?

Der fast 20 Jahre andauernde NATO-Einsatz war einer der teuersten und langwierigsten militärischen Einsätze seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Von Beginn an schätzten die Partner die Lage in Afghanistan immer wieder falsch ein. So verlor die damalige US-Regierung nach der Vertreibung der Taliban vor allem wegen des 2003 begonnenen Irak-Krieges das Interesse an Afghanistan.

Am NATO-Einsatz in Afghanistan waren ab Januar 2002 auch deutsche Streitkräfte beteiligt. Der Einsatz im Norden des Landes hatte die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte sowie den Schutz deutschen Personals in den Wiederaufbauorganisationen oder diplomatischen und konsularischen Vertretungen zum Ziel. Zudem beteiligte sich Deutschland federführend am politischen Übergang. Im Dezember 2001 fand auf dem Petersberg bei Bonn die erste Afghanistan-Konferenz statt, auf der Schritte zu einer demokratisch verfassten Republik beschlossen wurden. Der afghanischen Nordallianz kam hierbei eine Schlüsselrolle zu. Sie war nach dem Rückzug der Taliban faktischer Machthaber in Kabul. 


Allerdings hatte die Nordallianz in weiten Teilen der Bevölkerung Afghanistans keine Legitimation. Unterschiedliche Parteien, darunter die NGO Human Rights Watch, warfen ihr schwere Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg vor. Die größte Bevölkerungsgruppe Afghanistans, die Paschtunen, waren in ihr kaum vertreten. Zwar sah das Bonner Abkommen vor, dass an einer neuen afghanischen Regierung alle Bevölkerungsgruppen – sowie auch Frauen – angemessen zu beteiligen seien. Aber mehrere einflussreiche Stammesfürsten und Kriegsherren waren nicht eingeladen, ebenso wenig gemäßigte Vertreter der Taliban.

Vielen Beobachterinnen und Beobachtern gilt das rückblickend als Fehler. Bereits die erste afghanische Regierung bestand in Teilen aus Warlords, und stand damit für eine Zeit des Schreckens für viele Afghaninnen und Afghanen. Auch gegen alle weiteren Regierungen sowie die lokalen Verwaltungen gab es immer wieder Vorwürfe der Korruption. Insgesamt also gelang es bis 2021 keiner Regierung, eine breite Legitimation in der Bevölkerung aufzubauen

Während des NATO-Einsatzes haben die westlichen Alliierten versucht, insbesondere unter Beteiligung der Frauen, zivilgesellschaftliche Strukturen nach ihrem Sinne aufzubauen und zu fördern. Medienvielfalt, Bildung, Kunst und Kultur, ein breites Netzwerk an Nichtregierungsorganisationen – vieles wurde erreicht. Jedoch unterschätzten die NATO-Partner den Widerstand der konservativen und in Stämmen organisierten Landbevölkerung gegen jede äußere Einflussnahme. Zu keinem Zeitpunkt hat es eine breit verankerte und durch einflussreiche Geistliche oder Stammesfürsten unterstützte Legitimation der gesellschaftlichen Veränderungen gegeben.

Wie verhalten sich die Taliban seit der Machtergreifung gegenüber der Bevölkerung?

In den Jahren vor der erneuten Machtergreifung 2021 hatten sich die Taliban in den von ihr eroberten Gebieten flexibel gezeigt. In einigen Regionen tolerierten sie etwa die Schulbildung bei Mädchen und Frauen oder weibliche Erwerbstätigkeit. Nach der erneuten Machtergreifung im August 2021 erschien es den Taliban zunächst wichtig, sich als gemäßigt darzustellen.

Dennoch zeigte sich schnell, dass die Anliegen der Bewegung ähnlich geblieben sind. Bereits Anfang September 2021 riefen die Taliban ein islamisches Emirat in Afghanistan aus, mit der Scharia als einziger rechtlicher Grundlage. Internationale Sanktionen haben die ökonomische und soziale Lage für die Bevölkerung seither zudem massiv verschärft. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben 97 Prozent der Afghaninnen und Afghanen in Armut. Annähernd drei Viertel der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gewalt halten die Taliban weiterhin für ein angemessenes Mittel, religiöse Vorschriften und islamische Sitten umzusetzen, wenngleich das Maß ihrer Anwendung bislang mit den 1990er Jahren nicht zu vergleichen ist. Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten sind insbesondere gegen Afghaninnen und Afghanen dokumentiert, die mit der afghanischen Regierung oder den NATO-Truppen zusammengearbeitet haben.


Auch der Umgang mit Frauen entspricht wieder der Zeit der ersten Taliban-Herrschaft. Bereits im September 2021 wurde das Frauenministerium durch eine Sittenpolizei ersetzt. Die Taliban haben erneut strikte Alltagsvorschriften erlassen: etwa zu Gründen, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten oder zur Kleidung.

Stellten die Taliban kurz nach der Machtergreifung noch in Aussicht, Bildung und Erwerbstätigkeit von Mädchen und Frauen dulden zu wollen, schlossen sie Afghaninnen bald darauf von jeglicher Bildung nach der 6. Klasse aus. Ein Anfang des Jahres 2023 verhängtes Arbeitsverbot von Frauen in NGOs wurde teilweise zurückgenommen, nachdem die NGOs erklärten, auf die Arbeit von Frauen angewiesen zu sein und andernfalls nicht mehr in Afghanistan tätig werden zu wollen.

Die Vereinten Nationen haben die systematische Diskriminierung der Mädchen und Frauen in Afghanistan als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Allerdings glauben einige Beobachterinnen und Beobachter, dass die Taliban die Einschränkung fast aller Frauenrechte auch als Faustpfand einsetzen, um den Westen zum Ende der Sanktionen zu zwingen. 


Alles in allem zeigt sich die Taliban also ähnlich wie zu Zeiten der ersten Herrschaft, wobei sich auch diesmal regionale Unterschiede zeigen. Prof. Conrad Schetter vom Bonn International Centre für Conflict Studies (BICC) sieht zudem zahlreiche Spannungslinien innerhalb der Taliban: zwischen Pragmatikern und Dogmatikern, zwischen den frühen und neuen Anhängern und zwischen einzelnen Regionalverbünden. Ein Bruch sei bislang aber nicht erkennbar. Einziger wirklicher Herausforderer sei der Islamische Staat Khorasan (ISK). Der Ableger des Islamischen Staates verübt regelmäßig Anschläge und Attentate gegen Vertreter der Taliban-Regierung, aber auch gegen die Zivilgesellschaft.

 

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