Algorithmenlogik und Identitätssuche
Islamistinnen und Islamisten nutzen gezielt die Mechanismen sozialer Medien aus, um Inhalte für junge Menschen zu verbreiten. Dabei sprechen sie die Bedürfnisse und Lebenserfahrungen Jugendlicher an: Von der Suche nach der eigenen Identität bis zum Umgang mit antimuslimischem Rassismus.
Auf welche Art und Weise versuchen Islamistinnen und Islamisten ihre Inhalte zu verbreiten? Ihre grundlegende Strategie hierfür ist das Anknüpfen an aktuelle gesellschaftliche Debatten sowie die Lebenswelt der Zielgruppe.
Um an die digitale Lebenswelt junger Menschen und ihr Mediennutzungsverhalten anzuknüpfen, sind Extremistinnen und Extremisten in den sozialen Medien aktiv. Die dort präsentierten Formate sollen das Unterhaltungsbedürfnis Jugendlicher stillen und sind daher entsprechend aufbereitet – mit schnellen Schnitten, jugendlicher Sprache und oft hoher Ästhetik. Vor allem geht es aber noch darum, durch die angebotenen Beiträge die Jugendlichen auf einer inhaltlichen Ebene anzusprechen: Ziel ist, Bedürfnisse wie die Suche nach der eigenen Identität, nach einem Sinn im Leben, aber auch nach Gemeinschaft zu bedienen. Extremistinnen und Extremisten versuchen ihre Ideologie und deren Werte als Lösung für Probleme zu präsentieren, mit denen junge Menschen sich konfrontiert sehen. Dabei bewegen sich Islamistinnen und Islamisten oftmals in Grenzbereichen zwischen legitimem politischem Aktivismus, z.B. gegen Rassismus, einerseits und unterschwellig extremistischen Inhalten andererseits. Berechtigte Forderungen, wie etwa nach mehr gesellschaftlicher Teilhabe, versuchen sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen und sich so letztendlich gegen diese Gesellschaft zu wenden.
Islamistische Propaganda vereinnahmt aktuelle Themen für ihre Zwecke
Konkrete Beispiele hierfür sind die Diskussion um Rassismus nach dem Austritt des Fußballers Mesut Özil aus der Nationalmannschaft 2018 oder die immer wieder geführten Debatten um ein Kopftuchverbot. Diese Debatten spiegeln auch die Diskriminierungserfahrungen wider, die viele Menschen im Alltag machen.
Wie schnell Islamistinnen und Islamisten sich dabei aktuelle Thematiken aneignen, zeigt auch ihre Reaktion auf die Covid19-Pandemie. So wurde die globale Pandemie recht schnell in ein Endzeitszenario integriert: Covid19 wird darin als „göttliche Strafe“ für ein „sündhaftes Verhalten“ der Menschheit dargestellt. Dies fügt sich auch in andere Narrative ein, wie beispielsweise Opfernarrative: so wurde der Virus zunächst als Bestrafung Chinas für seinen Umgang mit der muslimischen Minderheit der Uiguren gesehen.
Mechanismen sozialer Medien ausnutzen Hashtags und Kampagnen
Gerade im Hinblick auf das Mediennutzungsverhalten junger Menschen gelingt es islamistischen Extremistinnen und Extremisten ihre Propaganda an den Alltag junger Menschen anzupassen. Das betrifft sowohl die Formate selbst, die aktuelle Nutzungstrends junger Menschen widerspiegeln, als auch ihren Einsatz in den sozialen Medien, bei dem sich die extremistische Szene die kanaleigenen Logiken zu eigen macht.
So weisen zum Beispiel die Formate unterschiedliche Kennzeichen auf, die sie besonders jugendaffin machen und durch die sie sich in die Mediennutzung junger Menschen nahtlos einfügen. Ein Merkmal ist die Dauer: Gerade kurzen Inhalten, die Botschaften in nur wenigen Minuten oder gar Sekunden vermitteln, gelingt es die Aufmerksamkeit von Jugendlichen zu gewinnen. Hier spielt es auch eine Rolle, dass die Botschaften besonders einfach zu erfassen und Sätze kurz und prägnant formuliert sind. Oft wird dabei an jugendkulturelle Inhalte angeknüpft, die eine Nähe zur Lebenswelt der Jugendlichen vermitteln. Auch sonst greifen die Formate verstärkt eine jugendaffine Aufmachung auf und knüpfen an bekannte Sehgewohnheiten der Jugendlichen an. So fügen sich z.B. an junge Frauen gerichtete Instagram-Posts nahtlos in die ästhetische Bildsprache dieses sozialen Netzwerks ein.
Durch gezieltes Tagging erhöhen Islamistinnen und Islamisten ihre Reichweite
Neben argumentativen und inhaltlichen Strategien nutzen Islamistinnen und Islamisten immer wieder die Logik der sozialen Netzwerke aus, um ihre eigene Reichweite zu erhöhen. Das gelingt zum Beispiel, indem sie an Influencerinnen und Influencer bzw. bekannte Persönlichkeiten aus den Bereichen Musik (insbesondere Rap), Comedy oder Sport andocken oder indem sie vielgeteilte Hashtags aufgreifen. Die Bezugnahme auf prominente Persönlichkeiten erfolgt in Form von Verlinkungen, dem sogenannten Tagging, aber auch, indem Bilder oder Zitate von ihnen aufgegriffen und mit extremistischen Inhalten verbunden werden.
Ziel solcher Verknüpfungen ist es, mehr Reichweite für extremistische Inhalte zu generieren und so mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei versuchen Islamistinnen und Islamisten entweder von Sympathien für die Prominenten zu profitieren oder zu polarisieren und die Persönlichkeiten zu kritisieren. Gerade Comedians geraten im Rahmen der letztgenannten Strategie oft in das Visier von Islamistinnen und Islamisten, denn eine humoristische Auseinandersetzung mit dem Islam sehen Extremistinnen und Extremisten als Blasphemie, d.h. als Gotteslästerung, an.
Teilweise stehen Verlinkungen und Tags jedoch auch ohne inhaltliche Bezüge, sondern werden nur verwendet, um die Algorithmen der sozialen Netzwerke zu manipulieren: In diesen Fällen werden gänzlich unpolitische Hashtags wie #GNTM, die gerade „trenden“, also besonders viel geteilt werden, von den Islamistinnen und Islamisten für ihre Zwecke missbraucht. Auch Suchanfragen nach solchen unpolitischen Stichworten können Jugendliche dann auf extremistische Inhalte führen.
Islamistische und rechtsextreme Propaganda verstärken sich gegenseitig
Die Mechanismen sozialer Medien können außerdem dazu führen, dass islamistische und rechtsextreme Netzwerke sich gegenseitig befeuern. Die Kampagne #nichtohnemeinkopftuch veranschaulicht diese Dynamik: Der von islamistischen Gruppierungen ins Leben gerufene Hashtag wurde schnell auch von Rechtsextremen „gekapert“, indem sie muslimfeindliche Inhalte darüber teilten. So nutzen auch Rechtsextreme islamistische Propagandavideos oder ähnliche Inhalte, um ihr eigenes Weltbild zu stützen und muslimische Menschen als Bedrohung darzustellen. Ob gewollt oder ungewollt: die Rechtsextremen verstärken damit auch den Erfolg des islamistischen Hashtags. Denn werden unter einem Hashtag besonders viele Inhalte geteilt, dann schätzen die Algorithmen der sozialen Netzwerke den Hashtag als besonders relevant ein und er wird besonders vielen Nutzerinnen und Nutzern angezeigt.
Lebensweltbezüge herstellen Antimuslimischer Rassismus und Opfernarrative
Durch öffentliche Diskussionen um islamistische Strömungen wie den gewaltbereiten Salafismus wurden bei einigen Menschen auch bestehende Vorurteile gegenüber dem Islam verstärkt. Auch pauschalisierende Wortwahl und Kontextualisierung tragen – oft unbewusst – dazu bei. Viele Musliminnen und Muslime bzw. Menschen, die für Musliminnen und Muslime gehalten werden, bekommen dies zu spüren und erfahren Diskriminierung im Alltag.
Islamistische Propaganda greift Rassismuserfahrungen auf, um Ängste zu schüren
Für Islamistinnen und Islamisten ist es besonders einfach, an die Rassismuserfahrungen junger Menschen anzuknüpfen: Indem sie die Erfahrung von Diskriminierung in ihre Narrative einfügen, sollen Jugendliche für extremistische Inhalte gewonnen werden. Gerade junge Menschen können sich durch Islamistinnen und Islamisten ernst genommen und angesprochen fühlen, wenn sie ihre eigene Lebenswelt bestätigt sehen und auf ihre Ängste eingegangen wird. Letzteres gewinnt gerade im Kontext von rechtsextremen Anschlägen wie in Hanau oder Halle (Saale) an Bedeutung. In Bezug auf solche Anschläge argumentieren Extremistinnen und Extremisten, dass das Leben muslimischer Menschen gefährdet sei. Glaubensgemeinschaften, wie der Salafismus, böten hierzu aber eine alternative Gemeinschaft, die sich gegen diese Ungerechtigkeiten auflehne.
Eine besondere Herausforderung: Antimuslimischer Rassismus, insbesondere aus rechtsextremen Netzwerken, und islamistische Propaganda entwickeln oftmals ein Wechselspiel, in dem sie ihre jeweiligen Narrative gegenseitig bestätigen und befeuern. Dies funktioniert in Online-Kontexten besonders gut.
Aus einzelnen Konfliktsituationen wird ein Freund-Feind-Schema abgeleitet
Extremistinnen und Extremisten knüpfen mit Opfernarrativen aber auch an bestehende internationale Konfliktsituationen an, in denen Muslime tatsächlich zu Opfern werden. Ein Beispiel ist die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China.
Islamistinnen und Islamisten nutzen solche Konfliktsituationen aus, um davon ein generelles Freund-Feind-Schema abzuleiten: eine muslimische Minderheit, die als einheitliche muslimische Weltgemeinschaft konstruiert wird, steht danach einer nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft oder auch „dem Westen“ gegenüber und wird unterdrückt. Um diese Botschaft zu verstärken und die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer zudem emotional anzusprechen, zeigen Videos auch oft drastische Formen von Gewalt gegen Uiguren. Ziel ist es, besonders bei jungen Menschen, Angst vor und Hass gegen die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft insgesamt zu schüren. Die letzte Konsequenz dieser Argumentation ist die Aufforderung zum Kampf gegen die vermeintliche Unterdrückung und damit gegen die demokratische Gesellschaft.
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