Aufarbeitung vor Gericht?
Im Regelfall erfüllen die Rückkehrenden Straftatbestände wie die Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Aus diesem Grund ermitteln nach ihrer Rückkehr grundsätzlich die Justizbehörden. Viele Rückkehrende müssen mit einer Haftstrafe in Deutschland rechnen.
Einige „IS“-Rückehrende wurden in Deutschland wegen Gewalttaten angeklagt und verurteilt. Als Grund für die Anklage kommen verschiedene typische Straftaten infrage: vor allem die Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b Strafgesetzbuch (StGB) und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB.
Unter eine strafbare Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung oder eine Unterstützung einer solchen fallen nicht nur Gewalttaten, sondern zum Beispiel auch militärische Wachdienste, Mitarbeit in Verwaltung und Logistik oder die Mitwirkung an Propagandavideos. Auch das Werben um Mitglieder ist strafbar, ebenso wie die Beschaffung von Informationen, Waffen oder Geld für die Organisation.
Als Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat kann zum Beispiel gewertet werden, wenn sich eine Person im „IS“-Gebiet im Umgang mit Waffen und Sprengstoff hat ausbilden lassen – und sich zu dem Zeitpunkt vorgenommen hatte, damit einen Anschlag in Deutschland zu verüben.
Angesichts der gesetzlichen Vorgaben müssen viele Rückkehrende mit einer Haftstrafe rechnen. Die Länge kann sehr unterschiedlich sein. In bisherigen Fällen spielte oft das Alter der Verurteilten eine Rolle: Einige Rückkehrende waren während ihrer Zeit beim „IS“ nicht volljährig. Erst ab dem 21. Lebensjahr muss das Erwachsenenstrafrecht angewendet werden.
Die Aufarbeitung möglicher Straftaten von Rückehrenden stellt für die deutschen Behörden eine große Herausforderung dar. Denn die Ermittlungen sind komplex und aufwändig. Die Behörden können in den ehemaligen „IS“-Gebieten nicht selbst ermitteln und es gibt keine Rechtshilfe durch syrische Behörden. Für Zeugenaussagen werden Dolmetscherinnen und Dolmetscher gebraucht und Dokumente müssen übersetzt werden. Zudem müssen oft spezielle Umstände berücksichtigt werden, wie kulturelle, religiöse oder geografische Zusammenhänge. Bei bisherigen Strafprozessen wurden daher häufig Sachverständige einbezogen.
Gerichtsurteile in Nordrhein-Westfalen Haftstrafen für Rückkehrende
Einer der Zurückgekehrten, die sich in Deutschland vor Gericht verantworten mussten, ist Nils D. aus Dinslaken. Er wurde 2021 in Düsseldorf zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er 2014 in einem „IS“-Gefängnis an der Ermordung eines Gefangenen beteiligt gewesen war. In einem früheren Prozess hatte er gegen andere „IS“-Mitglieder ausgesagt, was als strafmildernd bewertet wurde. Erst später wurde nachgewiesen, dass er während seiner Zeit im „IS“ Gefangene folterte. (Zum Artikel bei RP Online)
Auch Verena M. aus St. Augustin war im „IS“-Gebiet. 2015 soll sie mit ihrem damals 5-jährigen Sohn ausgereist sein. Vor ihrer Rückkehr verbrachte sie fast zwei Jahre in einem kurdischen Gefangenenlager. Vor Gericht distanziert sie sich vom „IS“ und nennt ihn „unislamisch“. Doch Zeuginnen und Zeugen bezweifeln, dass sie sich von der Ideologie des „IS“ ganz lossagen will. (Zum Artikel im General-Anzeiger)
Im Juli 2022 wurde Verena M. zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Neben der Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung sah das Gericht ebenfalls eine Verletzung gegen die Fürsorge und Erziehungspflicht gegenüber ihrem Sohn sowie einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz als erwiesen an. Verena M. soll während ihrer Zeit beim „IS“ zwei Sturmgewehre besessen haben. (Zum Artikel bei Spiegel Online)
Strafvollzug Warum Präventionsarbeit in Haft wichtig ist
Fachleute warnen, dass die Erfahrungen während einer Haft in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) eine Radikalisierung begünstigen können. Ein Grund sei, dass sich Inhaftierte in einer Extremsituation befinden, losgelöst von ihrem sozialen Umfeld.
Daher werden in Nordrhein-Westfalen auch in JVAen Präventionsmaßnahmen umgesetzt. Zum 1. Juni 2021 wurde das bewährte Projekt „Prävention von Radikalisierung in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten“ durch Einrichtung eines neuen Fachbereichs im Justizvollzug institutionalisiert. Seine Bezeichnung lautet „Radikalisierungsprävention im Justizvollzug“, er ist eine zentrale Organisationseinheit im Justizvollzug des Landes. Ziel ist die Prävention von religiösem und politischem Extremismus sowie die Bekämpfung von Radikalisierungsgefahren im Justizvollzug.
Der Fachbereich berät Einrichtungen des Justizvollzugs im Allgemeinen sowie anlassbezogen in konkreten Einzelfällen zu religiösen, ideologischen und kulturellen Fragestellungen. Er unterstützt die Justizvollzugeinrichtungen beim Ausbau der Betreuung von muslimischen Gefangenen. Außerdem baut der Fachbereich ein Berichtswesen zu Verdachtsfällen auf, um diese besser koordinieren zu können.
Unabhängig davon wurden interdisziplinäre interne und externe Beratungsangebote stetig ausgebaut. Zudem wurden in den letzten Jahren zusätzliche Strukturen und Stellen geschaffen, die speziell auf den Phänomenbereich Islamismus ausgerichtet sind. Dazu zählen Integrations-, Präventions- und Extremismusbeauftragte.
Die Arbeit in JVAen ist Teil des koordinierten Vorgehens gegen islamistischen Extremismus in Nordrhein-Westfalen. So ist das Ministerium der Justiz in der interministeriellen Arbeitsgruppe Salafismusprävention vertreten. Eines der Themenfelder dort ist die Deradikalisierung in JVAen. Die Justiz arbeitet unter anderem mit dem staatlichen Aussteigerprogramm Islamismus (API) zusammen, das sich auch an Rückkehrende und Inhaftierte richtet.
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