Interview: „Ein Kraftakt“ – Ausstiegsarbeit mit Rückkehrenden
Eine Mitarbeiterin des API gibt Einblicke in ihre Arbeit mit Rückkehrenden aus den ehemaligen „IS“-Kampfgebieten. Was passiert in der Ausstiegsarbeit und wie kann eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft gelingen?
Das Interview wurde im März 2023 mit Tatjana Lorenz* geführt. Sie ist Diplom-Sozialarbeiterin und arbeitet seit mehreren Jahren beim API. In ihrem Team arbeiten verschiedene Professionen zusammen, darunter Islamwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Polizistinnen und Polizisten sowie Psychologinnen und Psychologen.
(*Name geändert)
Wie können wir uns die Menschen vorstellen, mit denen Sie arbeiten?
Die meisten sind inhaftiert. Das liegt daran, dass die Sicherheitsbehörden zum Beispiel davon ausgehen, dass sie sich in Syrien dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben, was in Deutschland eine Straftat darstellt. Das heißt also, dass Ermittlungen gegen die Personen laufen.
Es gibt Männer und Frauen, die Aufteilung ist ausgeglichen. Die Rückkehrenden sind im Schnitt um die 30 Jahre alt, wenn sie im Programm anfangen. Die Frauen sind meist Mütter, die mit den Kindern im IS-Gebiet waren beziehungsweise dort Kinder bekommen haben.
Die Gewalt des „IS“ wurde und wird in einer Reihe von Prozessen aufgearbeitet. Sie löst immer noch Fassungslosigkeit aus. Wie sehen die Rückkehrenden selbst ihre „IS“-Vergangenheit?
Der überwiegende Teil der Rückkehrenden ist nach eigenen Aussagen selbst fassungslos darüber, was vor Ort passiert ist oder was mit ihnen selbst passiert ist. Das ist oft mit Scham- und Schuldgefühlen behaftet. Die Rückkehrenden sprechen teilweise davon, dass ihnen die Vergangenheit wie ein Film vorkommt. Oder wie eine Parallelwelt, in der sie nicht sie selbst waren – verblendet und gehirngewaschen.
Es gibt Rückkehrende, die von Anfang an reflektiert damit umgehen. Andere verharmlosen das, gerade zu Beginn der Begleitung durch uns. Es ist ein langer Prozess, eine komplette realistische Sicht auf die Dinge zu bekommen.
Wie kann man sich die Rückkehr konkret vorstellen: Kommen die Rückkehrenden in ihr früheres Umfeld zurück, zu Freunden und Familie?
Oft können Rückkehrende in ihre Familien zurück. Bei der Ausreise waren die Rückkehrenden überwiegend in einem jugendlichen Alter. Auch wenn sie jahrelang in Syrien waren, kommen sie trotzdem als Kinder ihrer Eltern zurück, als verlorene Kinder.
Wobei das Thema IS meist tabuisiert wird. Alle sind froh, dass ihre Angehörigen zurück sind und es wird darüber in den meisten Fällen nicht mehr gesprochen. Weil es auch in der Familie Schuldgefühle gibt. Und weil vielleicht auch keiner wissen will, was tatsächlich passiert ist, weil das unter Umständen mit erfahrener Ungerechtigkeit und Gewalt zu tun hat.
Das soziale System außerhalb der Familie gibt es oft nicht mehr. Wenn die Rückehrenden vor allem Szenekontakte hatten, geht es sowieso darum, sich davon zu lösen. Im besten Fall gibt es alte Arbeitskollegen, alte Freunde. Manche Freundschaften können wiederaufgenommen werden. Andere nicht, weil die Lebenswelten mittlerweile zu unterschiedlich sind oder weil die Befürchtung besteht, das alte Bekannte durch den Kontakt in den Fokus der Polizei geraten könnten.
Ziel der Arbeit mit Rückkehrenden ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Was ist nötig, damit das gelingt?
Es hat sich gezeigt, dass ein vorhandenes stabiles soziales Umfeld maßgeblich für einen nachhaltigen Ausstieg ist. Wie alle Menschen, möchte auch unser Klientel irgendwo dazugehören. Manchmal ist gerade die fehlende Identität der Grund gewesen, warum sie ausgereist sind. Von daher sind soziale Kontakte ein wichtiger Anker.
Hilfreich ist, wenn die Rückkehrenden eine gewisse Offenheit in der Gesellschaft vorfinden, weil sie darauf angewiesen sind, dass sie eine zweite Chance bekommen.
Unabdingbar ist, dass die Rückkehrenden eine hohe Eigenmotivation aufbringen, an ihrer Situation etwas zu verändern. Denn das ist ein Kraftakt, der sonst nicht bewältigt werden kann. Dazu gehört die Bereitschaft, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und die eigenen Motive und Bedürfnisse zu kennen, damit man auch präventiv für sich gut sorgen kann.
Der Schlüssel der Ausstiegsarbeit ist, zu verstehen: Warum bin ich in die Situation gekommen, welche Bedürfnisse stecken dahinter? Und wie kann ich diesen in Zukunft entsprechen? Was will ich vom Leben? Wenn ich meine eigenen Bedürfnisse nicht kenne, ist es auch schwierig, Ziele zu definieren.
Was sind dabei die Herausforderungen für Rückkehrende?
Es gibt unterschiedliche Herausforderungen. Zum Beispiel für eine Frau, die mit 16 nach Syrien ausgereist und jetzt Mutter von zwei Kindern ist. Für sie ist die Rückkehr eine Neuorientierung. Sie muss sich zum Beispiel darüber bewusstwerden: Was ist meine Rolle als Frau in Deutschland? Wie will ich meine Rolle als Mutter ausüben? Will ich einer Arbeit nachgehen?
Teilweise haben die Rückkehrenden Angst vor Stigmatisierung durch die Gesellschaft und davor, isoliert zu sein.
Viele bringen auch psychische Belastungen und Erkrankungen mit. Sie haben sowohl im Krisengebiet, als auch vorher schon Traumata erfahren und Gewalt erlebt.
Was Rückkehrende auch immer wieder als Herausforderung angeben, ist, dass sie Durchhaltevermögen brauchen. Weil so ein Ausstiegsprozess von Frust und Niederlagen gesäumt sein kann.
Ebenfalls eine Herausforderung kann es sein, das Vertrauen zu Mitmenschen wieder zu gewinnen. Wenn man von sich selbst und dem eigenen Umfeld enttäuscht ist, auch dem in Syrien, ist das schwierig, gerade im Kontext von Behörden oder mir als Sozialarbeiterin gegenüber. „Wem kann ich hier eigentlich trauen? Wer will mir etwas Gutes?“
Fast alle Rückkehrenden bei uns im Programm stehen im Fokus der Polizei, auch das kann belastend sein. Das soll keine Bewertung der Polizeiarbeit von mir sein; das erleben die Rückkehrenden so.
Für einzelne Rückkehrende, die in einem extremistischen Familienumfeld oder in einer entsprechenden Partnerschaft gelebt haben, ist die Distanzierung besonders schwierig. Wenn das mein Sozialnetz war, kann die Suche nach oder die Wiedereingliederung in ein soziales Umfeld herausfordernd sein.
Das klingt nach einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Offenbar müssen die Rückkehrenden ihr früheres Selbstverständnis komplett hinterfragen. Wie gut funktioniert das?
Vielen hilft es, sich von Anfang an klarzumachen, dass es ein Prozess ist, der Zeit und Geduld braucht. Schnell viel wollen, das funktioniert nicht. Es kommt oft die Frage auf: Lohnt es sich für mich, die alten Verhaltensmuster zu ändern? Denn das ist ein Kraftakt und die Rückkehrenden wissen noch nicht, was sie am Ende davon haben. Sie sagen zwar: „Ja, ich will Ruhe haben und in Zukunft ein friedliches Leben führen.“ Aber manche haben noch nie erlebt, was das bedeutet. Und wenn man nicht weiß, wofür man kämpft, ist es manchmal schwierig, dabei zu bleiben.
Dabei hat vermutlich in vielen Fällen eine unbefriedigende Lebenssituation dazu beigetragen, dass sich die jetzt Ausstiegswilligen radikalisiert haben?
Ja. Lohnt es sich dann, das loszulassen, woran man bisher geglaubt hat? Wofür eigentlich? Zukünftig wieder alle Bereiche des Lebens mit Inhalt zu füllen, sich zu öffnen und ein ruhiges Leben führen zu wollen, das sind ja sehr abstrakte Ziele.
Aus Sicht von Fachkräften wie Ihnen: Was sind die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Während der U-Haft, solange die Rückkehrenden nicht rechtskräftig verurteilt sind, kann man vieles nicht besprechen. Denn wir vom API wollen nicht als Zeugen geladen werden, sondern wir wollen Vertrauen und eine Beziehung aufbauen. Aber viele Rückkehrende haben einen großen Leidensdruck und wollen endlich der ganzen Welt zeigen, dass sie nicht mehr gefährlich sind. Wir müssen es also schaffen, dass die Rückkehrenden uns nicht Dinge erzählen, die wir am Ende vor Gericht preisgeben müssten. Das ist ein schmaler Grat.
Die Rückkehrenden sind außerdem in fast jedem Lebensbereich darauf angewiesen, dass ihnen eine zweite Chance gegeben wird. Bei der Wohnung, bei der Arbeit, beim Umgang mit den eigenen Kindern. Auch wir als Ausstiegsbegleiter sind darauf angewiesen, dass die entsprechenden Stellen den Klienten ihre Türen öffnen.
In meiner täglichen Arbeit habe ich auch mit Klientel zu tun, das sich immer noch eher in der Opferrolle sieht. Auch, wenn sie Täter waren. Das ist eine Neutralisierungstechnik, die normal ist. Menschen nutzen sie, um sich selbst zu entlasten. Aber wenn jemand nur dasitzt und sagt „Ich kann für das alles nichts!" und auch über eine längere Zeit des Prozesses nicht ehrlich zu sich selbst ist, das finde ich manchmal herausfordernd.
Bei unserer Arbeit geht es zwar zunächst darum, eine Beziehung aufzubauen, um überhaupt solche Themen ansprechen zu können. Aber natürlich muss irgendwann Verantwortungsbewusstsein entstehen. Aber das ist nicht das Gros der Klientel.
Was passiert, wenn eine Wiedereingliederung nicht gelingt?
Wenn ich in der Ausstiegsarbeit das Gefühl habe, dass die Person nicht mitwirkt, dann bin ich sehr transparent, bereite meine Eindrücke auf und schaue mit der Person gemeinsam: Warum ist das eigentlich so?
Wenn ich dann merke, dass die Person noch extremistisches Gedankengut hat, dass es ein Gewaltpotenzial gibt und ich mit meiner Arbeit gar nicht weiterkomme, ist es im schlimmsten Fall so, dass ich die Zusammenarbeit abbrechen muss. Dann ist nur noch die Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig, wenn die Person als sogenannter Gefährder in Nordrhein-Westfalen eingestuft ist.
Können Sie sagen, wie oft es vorkommt, dass der Ausstieg nicht gelingt?
Das sind Einzelfälle. Wobei ich dazu sagen muss, dass die Schwelle zu einer Zusammenarbeit mit uns hoch ist. Es wäre unprofessionell zu sagen, dass jeder das Programm erfolgreich durchlaufen kann, weil es in der Zusammenarbeit und Entwicklung von Menschen nicht immer den einen Plan gibt, sondern sich Lebenssituationen verändern oder der Weg in eine ungewisse Zukunft Prozesse auch ins Stocken bringen kann.
Die Teilnahme am API ist freiwillig. Wir sprechen die Rückehrenden an und machen ihnen ein Gesprächsangebot. Dabei wissen die Rückkehrenden, dass das API ein Programm des Verfassungsschutzes ist. Es gibt auch Rückkehrende, die von vornherein nicht mit uns zusammenarbeiten wollen. Das akzeptieren wir und hoffen, dass diese anderweitig Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
Gibt es Beispiele für eine erfolgreiche Wiedereingliederung?
Ich habe mit Rückkehrenden gearbeitet, die jetzt in Lohn und Brot stehen, die die Vergangenheit gut bewältigt haben, die sehr reflektiert damit umgehen und die ihre Chance genutzt haben. Und die einfach an der einen oder anderen Stelle eine unterstützende Hand gebraucht haben.
Viele Rückkehrende haben erstaunliche gute Selbsthilfekräfte. Gerade Frauen. Sich selbst organisieren, für sich sorgen, Hilfesysteme in Anspruch nehmen, sich verantwortungsvoll um ihre Kinder kümmern. Das hätte ich in den Anfängen meiner Tätigkeit im Aussteigerprogramm so nicht vermutet.
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